Die Arbeitsbiene

„Du siehst schlecht aus“, bemerkte meine Freundin Edda besorgt. Wir haben uns während meiner Mittagspause in einem Café in der Fussgängerzone getroffen.

„Findest du?“, fragte ich zerstreut, denn in Gedanken hatte ich mein Büro noch nicht verlassen. Es verfolgte mich überall hin und ließ mich auch daheim nicht los. Man schleppt ja heutzutage die Arbeit nicht mehr in Aktentaschen mit sich herum, denn der PC bringt sie einem direkt nach Hause. Ein Segen und ein Fluch zugleich.

„Richtig bleich siehst du aus“, fuhr Edda fort „und zittrig bist du auch. Seit deiner Trennung von Lutz kann man mit dir nichts mehr anfangen: Nur noch Büro und nochmals Büro.“

Ich wollte mit meiner Freundin nicht diskutieren. Wir hätten einander nicht richtig verstanden. Sie hatte wahrscheinlich keine Vorstellung davon, wie sehr man heutzutage um seine berufliche Sicherheit kämpfen musste. Edda war seit 15 Jahren Hausfrau, hatte zwei Kinder und hielt ihrem Mann den Rücken frei. Sicher war das auch nicht immer leicht, aber sie musste um keinen Job kämpfen.

Sie hatte schon recht, ich hatte häufig Kopfschmerzen und manchmal richtige Migräneanfälle, mein Kreislauf spielte verrückt und der Magen streikte. Es war dauernd etwas anderes, richtig gut ging es mir nie.

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Gib eine Beschriftung ein

„Ach Frau Polke, würden sie bitte…“ Diese Worte meines Chefs kannte ich gut, wenn es darum ging, Arbeit mit nach Hause zu nehmen. Oftmals hätte ich gern „Nein“ gesagt. Aber ich glaube niemand ist unentbehrlich wie noch vor ein paar Jahren. Eine Chefsekretärin ist schnell ausgetauscht. Also musste ich alles dransetzen meinen Job nicht zu verlieren, ich wurde ja auch nicht jünger.

Meine Mutter riet mir zu unserem Hausarzt zu gehen. Mit ihm konnte ich vertrauensvoll reden, da er auch unsere Familie schon lange kennt. „Wie das blühende Leben sehen sie ja nicht gerade aus“, stellte er fest.

„Es geht mir auch nicht super“, gab ich zu und schilderte ihm meine zahlreichen Wehwehchen.

„Wie steht ´s mit ihrem Schlaf?“

„Miserabel“, bekannte ich. „Ich kann nicht abschalten und bin morgens wie gerädert. Es ist ein Teufelskreis, durchschlafen kann ich auch nicht. Der Rhythmus ist durcheinander.“

Er sprach von psychosomatischen Störungen und verschrieb mir zunächst Tabletten, die beim Einschlafen helfen sollten. Das taten sie auch, allerdings nur ein paar Tage. Ich nahm noch eine halbe Tablette zusätzlich und dachte mir nichts dabei. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich mich noch nie mit Medikamentenabhängigkeit beschäftigt, deshalb läuteten bei mir auch keine Alarmglocken. Als die Tabletten aufgebraucht waren, ging ich wieder zum Hausarzt. Er runzelte die Stirn. „Eigentlich sollte es jetzt besser sein“, meinte er.

„Ist es aber nicht,“ versicherte ich.

„Dann probieren wir es mit einem anderen Medikament, wenn das auch nicht hilft, werden wir die Ursachen erforschen.“

Ich nickte. Ich kannte die Ursachen zur Genüge. Es war die dauernde Belastung, der Stress, dem ich nicht entfliehen konnte.

Vor einigen Monaten war eine Kollegin entlassen worden. Betriebsbedingt, hieß es. Zufällig habe ich ein Gespräch zwischen dem Personalleiter und dem Abteilungsleiter mitbekommen. Es wurde über die Krankheit der Kollegin gesprochen, die Rede war auch über Effizienz von Minderleistung und Kostenfaktor. Es kroch mir dabei kalt den Rücken runter, denn sie sprachen nicht von einer Maschine sondern sie unterhielten sich über einen Menschen. Wie leicht und locker fielen da die Würfel über die Zukunft der Kollegin. Nachdem die Kollegin „gegangen“ worden war, blieb ein Grossteil der Arbeit an mir kleben. Der Personalchef schien nicht daran zu denken, einen Ersatz für die Entlassene einzustellen. Statt dessen sagte mein Chef zu mir:“ Ich muss Ihnen ein Lob aussprechen, Frau Polke, sie können wirklich für zwei arbeiten. Toll wie Sie das alles bewältigen.“

„Ich denke ja, es wird bald Ersatz kommen,“ sagte ich und sah ihn fragend an.

Er lächelte und antwortete:“Warum das denn, sie schaffen das doch mit links.“ Das sollte wohl lustig klingen, ich fand es einfach nur unverschämt. Ich fühlte mich ziemlich ohnmächtig und war nahe daran in Tränen auszubrechen. Beim Rausgehen sagte er noch: „Ach ja, nächste Woche müsste noch die Barkasse der Fahrer abgerechnet werden.“ Zur Antwort blieb mir keine Gelegenheit, er schloss leise die Tür und verschwand.

Etwas später kochte ich einen Kaffee, dabei rutschte mit die Kanne aus der Hand und zerbrach auf dem Boden. Alles war versaut, und dann klingelte auch noch das Telefon. Ich nahm ab musste etwas aus den Unterlagen suchen. Dabei stieß ich gegen den Kaffeefilter. Er kippte um und der ganze Matsch floss über die Schriftstücke. Aus lauter Verzweiflung nahm ich eine der Pillen, hoffentlich schlief ich jetzt nicht noch ein. Aber nichts passierte, mit wunderbarer Ruhe und Gelassenheit räumte ist alles weg und machte sauber.

Am anderen Morgen nahm ich sofort eine halbe Tablette als ich ins Büro kam. Als die Ruhe nachließ nahm ich noch eine weitere halbe hinterher. So kam ich mit zwei bis drei Tabletten über den Tag. Aber Abends musste ich schon drei Tabletten nehmen damit ich runter kam und schlafen konnte.

So langsam neigten sich die Pillen dem Ende zu. Ich musste wieder zum Hausarzt und bekam jetzt schon Panik. Die bekämpfte ich mit zwei Pillen auf einmal und ging in die Arztpraxis.

„Vielleicht noch eine Packung von diesen Tabletten“, dann wird es sicherlich bald in Ordnung sein. Es geht mir auch schon viel besser.“

„Das wird das letzte Mal sein, länger kann ich das aber nicht verschreiben. Der Wirkstoff ist aus der Gruppe der Diazepame, die können abhängig machen.“ sagte der Doktor.

„Da gibt es doch auch größere Packungen, falls es doch noch nicht ganz so ist.“ deutete ich vorsichtig an.

„Die fünfziger Packung reicht, eine Großpackung verschreibe ich auf keinen Fall. Gehen sie viel an die frische Luft, treiben sie Sport.“

„Mach ich doch alles“. log ich ihn an.

pixabay Doctor.pngIch merkte langsam wie die Lüge immer mehr zu meinem Alltag gehörte. Ich versuchte mit meinen Tabletten hauszuhalten, aber gegen eine Dosissteigerung konnte ich mich nicht wehren. Als die Packung zu Ende ging, versuchte ich es bei einem anderen Arzt und klagte ihm mein Leid. Er wollte mir Baldrian und Passionsblumenextrakt verordnen. Das lehnte ich ab. Er sagte mir etwas anderes könnte er mir nicht verschreiben, da er kein Nervenarzt sei.

Also suchte ich mir einen Nervenarzt. Dieser war schon etwas älter und auch schon ein bisschen tattrig. Er verschrieb mir gleich eine Grosspackung eines „einschlägigen“ Medikaments. Das reichte mir aber nicht. Ich suchte mir noch eine weitere Nervenärztin. Auch dort hatte ich Glück und konnte mich für die nächsten Wochen eindecken. Doch wie bei allen Medikamenten, zeigten sich bald Nebenwirkungen. Vergesslichkeit, allgemeine Gedächtnisschwäche schlichen sich ein. Es war keine direkte Müdigkeit, sondern ich kam mir abgestumpft vor. Mich brachte zwar so schnell nichts mehr aus der Ruhe, aber ich hatte mein Lachen und die Fröhlichkeit verloren. Es kam mir vor als wäre ich tot, ich fühlte mich grau und leblos, auch die Schmerzempfindlichkeit war herabgesetzt. Meine Mutter fragte zuerst:“ Was ist denn mit dir los, du bist so anders?“

„Was soll sein?“ fragte ich lahm.

„Du bist anders, wie im Tran, na, wie besoffen“ sagte meine Mutter.

Du weißt doch, dass ich keinen Alkohol anrühre,“erwiderte ich. Meiner Stimme fehlte jede Emotion.

„Vielleicht sind es Drogen?“

Blödsinn, ich bin doch kein Junkie“, stritt ich ab.

Meine Mutter sah mich skeptisch an und schüttelte den Kopf.

Ich war froh als sie wieder ging.

Einige Tage später hatte ich ein Gespräch mit meinen Vorgesetzten.

„Irgendetwas stimmt mit Ihnen nicht, Frau Pohlke“ so eröffnete er unsere Unterhaltung. Ein dickes Make-up übertünchte das Grau meiner Haut und die dunklen Augenringe. Ich hatte erheblich an Gewicht verloren, da ich kaum etwas aß.

„Sind Sie vielleicht krank?“

„Ich bin nicht krank“, rief ich panisch aus. Wie kommen Sie denn auf diesen Unsinn?“

„Sie arbeiten unkonzentriert.“

„Das ist nicht wahr“. Liebend gern hätte ich ihn angebrüllt, aber dazu fehlte mir die Kraft.

„Sie schreiben Anlagevermögen über Maschinen ab, die wir nicht mehr haben.“

„Das muss man mir sagen, wie soll ich das denn wissen?“

„Muss man nicht.“ erwiderte er. Seine Stimme klang gefährlich leise.

„Sie sollten in der Firma nachsehen, was vorhanden ist und das mit den Abschreibungslisten abgleichen. Aber Sie lassen seit einiger Zeit alles schleifen. Das war doch früher anders.“

„Es tut mir leid.“

„Damit ist es nicht getan. Mir täte es auch leid, wenn wir uns trennen müssten.“

Dieser Schuss vor den Bug war unüberhörbar. Doch genau das war es, was mich immer tiefer in den Teufelskreis trieb. Ich besorgte mir über das Internet zu meinen Beruhigungspillen noch die nötig gewordenen Aufputscher. Ich bezahlte horrende Summen für die Medikamente. Aber mit diesem Jonglieren zwischen Aufputschen und Beruhigen kam ich einigermassen über die Runden. Die Nebenwirkungen wurden immer grösser, laufend hatte ich Kopfschmerzen und Magenkrämpfe. Dann nahm ich wieder das harmlose Aspirin. Daraufhin bekam ich dann noch Magenbluten. Die Kopfschmerzen liessen sich gar nicht mehr bekämpfen. Ich hatte solche Sehnsucht einmal richtig auszuruhen. Aber bevor ich entspannte, warf ich schon wieder eine „Hallo-Wach-Pille“ ein. Es war wie bei einem Motor, der gewaltsam gedrosselt und wieder angetrieben wurde. In meinem Hinterkopf war der Gedanke, dass es nicht mehr lange gut gehen konnte. Nachts hörte ich manchmal Schreie und Geräusche. Ich wusste nicht ob sie wirklich da waren oder ob es Einbildung war. Ich hatte keine Ahnung wie ich mich von der Sucht wieder befreien konnte und dabei weiter zu funktionieren.

Der Zusammenbruch ließ nicht lange auf sich warten. Er kam an einem Montagmorgen, nachdem ich das Wochenende unter Tabletteneinfluss vor mich hin gedöst hatte. Es passierte in der Teeküche vom Büro. Alles begann sich um mich zu drehen, ich hatte das Gefühl die Decke stürzt auf mich. Vor der Tür klaffte scheinbar ein riesengroßes Loch im Teppichboden. Ich versuchte darüber zu springen und stürzte. Als ich mich hoch raffte sah ich wie die Tür auf mich kippte. Ich riss die Arme hoch und brüllte drauflos. Ich schrie und schrie. Mein Herz trommelte und ich bekam keine Luft. Überall sah ich Gesichter, kreisrunde furchtbare Fratzen.  Dann schlug ich um mich. Meine letzte Erinnerung war, in einem Watteberg zu versinken.

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Ich erwachte mit Schläuchen an den Armen und einem schrecklichen Gefühl im Mund. Meine Zunge fühlte sich an wie ein Klumpen. Es dauerte eine Zeit bis ich begriff, dass ich im Krankenhaus war. Neben meinem Bett hockte meine Mutter und heulte. Sie drückte meine Hand und sagte:“Endlich bist du aufgewacht.“ Später erfuhr ich, dass ich eine ganze Woche im Koma gelegen hatte. Die gepanschten Pillen, die ich teuer übers Internet gekauft hatte, hätten mich fast umgebracht. Mein Körper war vollkommen vergiftet und es dauerte lange um dieses Gift abzubauen und bis sich die Blutwerte wieder normalisiert hatten.

Auf diese Weise kam ich in eine Entzugsklinik und versuchte mithilfe von Therapeuten mein Leben wieder in den Griff zu bekommen.

Mein früherer Arbeitgeber hatte mich längst entlassen. Dieser Druck war weg. Nun habe ich einen neuen Job in Aussicht.

Dieses ist eine fiktive Geschichte, alle Personen, Namen und Orte sind frei erfunden.

 

 

 

5 Gedanken zu “Die Arbeitsbiene

  1. Gott sei Dank ist es eine fiktive Geschichte. Nach den ersten vier Absätzen kam ich schon ins Grübeln. Dann wurde es mir gottlob klar. Sehr realistisch erzählt.
    Also – nicht nachmachen. Ich hasse es gute Bekannte in Krankenhäuser zu besuchen. 🙂
    Liebe Grüße aus´m Pott

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  2. Hallo Petra,
    zuerst mal Glückwunsch zu der klugen Geschichte. „Chronik eines Niedergangs“ habe ich mir gedacht. Wer nur aus Angst arbeitet und vielleicht noch im falschen Beruf, der erleidet schnell ein solches Schicksal. Das ist gut beschrieben.
    Ich selbst war nie übermäßig strebsam, bin immer so im Mittelfeld mit geschwommen. Wenn ich Menschen begegne, die sehr viel arbeiten, frage ich mich oft, ob sie auch im „Niedergang“ sind. Aber oft stelle ich fest, dass sie viel, gut und gerne arbeiten und dabei munter und gesund sind. Mein alter Hausarzt ist eines der Beispiele. Er wollte einfach für Menschen da sein und das gab ihm viel.
    Mein Fazit: Genau hinschauen und niemanden in ein Kästchen stecken.

    Herzlichst
    Dirk

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